Samstag, 5. Mai 2012

H. Mann - Untertan

Heinrich Mann – Der Untertan (1914)

→ INHALT

"Der Untertan" ist ein zeithistorischer Roman, in dem Heinrich Mann die Lebensgeschichte des wilhelminischen Bürgers Diederich Heßling von seiner frühen Kindheit bis zur Sicherung seiner gesellschaftlichen Position in seiner Heimatstadt Netzig erzählt. Abgesehen von Diederichs Kindheit und Jugend umspannt die erzählte Zeit die Jahre 1890-1897. "Der Untertan" erhält somit autobiographischen Teilcharakter.

Diederich ist der Sohn eines kleinen Papierfabrikanten in Netzig. Schon im Kindesalter lassen ihn die autoritäre Erziehung in Elternhaus und Schule zu einer schrankenlosen Bewunderung der Macht heranwachsen. Obwohl ihn sein Vater oft verprügelt, bewundert er ihn, da der Vater sehr viel Macht innehat (z.B. über seine Arbeiter, aber auch über Diederich selbst) Andererseits hat er auch Angst vor der ständigen Schläge, nimmt aber dadurch, wenn auch leidend an der Macht des Vaters teil. Trotzdem liebt er seinen Vater, weil man eben seinen Vater zu lieben hat. Seine Mutter nimmt in dem Roman eine gegensätzliche Stellung zum Vater ein. Sie ist wie Diederich gefühlvoll und weich. Einerseits fühlt Diederich sich dadurch zu ihr hingezogen, andererseits schwärzt er sie beim Vater, da weiche Züge unterdrückt werden müssen. Schließlich verehrt er die Macht, ganz gleich ob sie durch Vater, Schulleiter oder Schutzmann verkörpert wird. In der Schule zeigt sich die Ergebenheit den Lehrern gegenüber durch Verpetzen der Mitschüler. Zu Hause zwingt er seine Schwestern zu einem Übermaß an Fehlern im Diktat, um ihnen dann grausame Strafen zu erteilen. Gelegentlich genügen ihm sogar leblose Gegenstände um sich in einen Machtrausch zu versetzen.
Nach dem Schulabschluß beginnt er ein naturwissenschaftliches Studium in Berlin. Dort wird er Mitglied einer nationalgesinnten Studentenkörperschaft, der Neuteutonia, die seinem künftigen Dasein eine entscheidende Prägung gibt. Diederich erhält durch die Trinksitten nach Kommando, den Chor-gesang und die Atmosphäre der Korporation inneren Frieden und lernt die Selbstbeherrschung, Beobachtung der Formen, Korpsgeist, Eifer für das Höhere. Die Neuteutionia vermittelt ihm eine politische Meinung sowie die Stärke in der Gruppe. Die Integration geht so weit, dass Diederich als Individuum in der Körperschaft untergeht und die Gruppe für Diederich "dachte" und "wollte".
Zudem erlebt er in Berlin die erste Liebesaffäre mit Agnes Göppel, der Tochter eines Geschäftsfreundes seines Vaters. Es gelingt ihm, sich dank funktionierenden Neuteutionia-Beziehungen nach kurzer Zeit von den Lasten des Militärdienstes zu befreien, was ihn aber keineswegs daran hindert, das Militär als nationale Institution nachhaltig zu lobpreisen.
Nach Staatsexamen und Doktor-Promotion kehrt Diederich in "Der Untertan" in seine Heimatstadt zurück, wo er den Betrieb des inzwischen verstorbenen Vaters übernimmt und sogleich zum Tyrannen über die eigene Familie und seine Arbeiter aufschwingt. Er will entschieden gegen die Sozialdemokratie in seinem Betrieb vorgehen, schließlich verbündet er sich aber später heimlich mit Napoleon Fischer, seinem Maschinenmeister und Funktionär der sozialdemokratischen Partei, der ihm Unterstützung bei der Karriere als Stadtrat zusichert. Diederich erweist sich mehr und mehr als Imitation des Kaisers, bis hin zu Mimik, Gestik, Redeweise, Barttracht und selbst der Übereinstimmung des eigenen Denkens mit dem Monarchen. Er bricht sogar seine Flitterwochen ab, um dem Kaiser in Rom zu begegnen und ihm zu huldigen. Er fungiert als Agitator am Stammtisch und Eiferer gegen das Proletariat, der selbst die Erschießung eines Demonstranten mit der Berufung auf die Autorität des Kaisers begrüßt. Folge seiner erfolgreichen Bemühungen um gute Beziehungen in Netzigs nationalen Kreisen und dank der Ehe im der wohlhabenden, aber gesellschaftlich in Zweifel gestellte Erbin Guste Daimchen, sowie seiner politischen Intrigen kommt Diederich Heßling geschäftlich und politisch gut voran. Er steigt auf zum Stadtverordneten und Generaldirektor und schließlich gelingt es ihm, die einflußreichen Persönlichkeiten, vor allem die Familie Buck, die für die liberale Strömung und Rechtfertigung der 48er Revolution stand, zu überspielen.
Als Krönung seines Aufstiegs soll Diederich in "Der Untertan" die Ehre zuteil werden, die Festrede am Tage der Denkmalsweihe für das Reiterstandbild Wilhelm I. zu halte. Aber ein losbrechendes Unwetter nimmt der nationalen Gedenkstunde alle Würde und dem Festredner jegliche Wirkung. Diederich muß statt des erhofften gesellschaftlichen Glanzes mit Beifall und Ordensverleihung unter dem Rednerpult Zuflucht vor den Wassermassen suchen und erhält von einem Schutzmann im Vorbeigehen den Wilhelmsorden. Den Schluß des Romans "Der Untertan" bildet die Szene am Totenbett des alten revolutionären Buck, der ihn in seinen letzten Atemzügen noch im Hintergrund als "Teufel" wahrnimmt.







→ PERSONEN

Diederich als Machtmensch
Schon als Kind fühlt sich Diederich von verschiedenen Mächten bedroht. "Nach so vielen furchtbaren Gewalten, denen man unterworfen war, nach den Märchenkröten, dem Vater, dem lieben Gott, dem Burggespenst und der Polizei, nach dem Schornsteinfeger, der einen durch den ganzen Schlot schleifen konnte, bis man auch ein schwarzer Mann war, und dem Doktor, der einen im Hals pinseln durfte und schütteln, wenn man schrie - nach all diesen Gewalten geriet nun Diederich unter eine noch furchtbarere, den Menschen auf einmal ganz verschlingende: die Schule." (S.8)

Zunächst hat Diederich vor den Mächten Angst. Sein Verhältnis zur Macht ändert sich jedoch. Er liebt seinen Vater, Diederichh. er übernimmt auch einfach dessen WeltbilDiederich Er ordnet sich schon bald bedingungslos den bestehenden Machtinstanzen unter und sein Gewissen wird von außen geprägt. Diederich verehrt nicht nur einzelne Personen, sondern die Autorität schlechthin. Er bekennt sich zum Prinzip der Macht: "...jeder muß über sich einen haben, vor dem er Angst hat, und einen unter sich, der vor ihm Angst hat." (S.382)

In dem Maße, in dem Diederich sich mit der Macht identifiziert, wird er auch selbst zum Machtträger. Der Preis ist Verzicht auf Selbstverwirklichung. Diederich handelt "im Geiste eines Höheren" (S.284) und fügt sich bereitwillig der Macht des Stärkeren. Diese läßt er jedoch bei jeder Gelegenheit Schwächere spüren. (z.B verpetzt Mutter, droht Arbeitern, Schwestern müssen viele Fehler im Diktat machen, jüDiederich Mitschüler muß vor Kreuz knien) So entlädt sich sein Haß, der sich eigentlich gegen die Mächtigen richten müßte.

Diederich politische Gesinnung ist ebenfalls Ausdruck seiner blinder Verehrung der Macht. Mit allen Mitteln versucht er die oberste Macht, die im Kaiser verkörpert ist, zu stärken. Der Kaiser ist für Diederich die absolute Macht, die nur Gott Rechenschaft schuldig ist.

Gefährdung des Machtprinzips als Angelpunkt der Interpretation des Untertans?
Das Gegenteil von Diederich Charakter als Machtmensch ist seine eigene Natur, die er nicht immer unterdrücken kann. Schon am Anfang des Romans wird Diederich als "weiches Kind" beschrieben, "das am liebsten träumte". Während seines Studiums verspürt er oft Heimweh, im Tierpark ist ihm bange vor den Bestien. All diese Eigenschaften werden auch durch die Mutter verkörpert: "Frau Heßling wird mit der Wochenarbeit nicht fertig, klatscht mit dem Mädchen und nascht" (S.7) Um ihre Verstöße gegen die Normen ihres Mannes zu verbergen, ist sie gezwungen zu lügen. (S.6) Diederich verachtet seine Triebnatur "...aber er fühlte gar keine Achtung vor seiner Mutter. Ihre Ähnlichkeit mit ihm selbst verbot es ihm." (S.7) Er verachtet sie soweit, dass er sogar körperliche Züchtigung als angenehm empfindet: "Wenn er genascht oder gelogen hatte, drückte er sich so lange schmatzend und scheu wedelnd am Schreibpult umher, bis Herr Heßling etwas merkte und den Stock von der Wand nahm." (S.9)

Diederich ist zwischen den höheren Gewalten und seinen natürlichen Trieben hin- und hergerissen, so dass er eine ausgeprägte Ich-Schwäche aufweist. Seine Persönlichkeit ist sehr schwach, da er zwischen den äußeren Einflüssen ("Über-Ich") und seiner Natur ("Es") kein Ausgleich finden kann. D bildet kein eigenes Gewissen sondern verlegt es in die fremde Autorität, der er blinde Gehorsam leistet. Seine Ich-Schwäche wird auch in seiner ersten Liebesbeziehung deutlich. Mal glaubt Diederich Agnes zu lieben, mal verachtet er sie. Schließlich gewinnt jedoch das "Über-Ich", da die Karriere Vorrang hat.

Macht und Rausch im Untertan:
Diederich hat in Gegenwart der Macht Rauscherlebnisse. "Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt (...) Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben..." (S.57) Diese Übertreibung (Hyperbel) steht in "Der Untertan" ganz klar für die schwierigen Verhältnisse der damaligen Zeit.

Literarische Einordnung "Der Untertan"
· Naturalistische Elemente:
das Werk insgesamt ist keineswegs naturalistisch. Der Niederschrift des Romans gingen eingehende Detailstudien bestimmter Lebensbereiche voraus. Der Autor informierte sich z.B genauestens über das Zeitungswesen, besichtigte eine Papierfabrik und beschäftigte sich mit der Strafprozeßordnung
· Expressionistische Elemente:
Heinrich Mann erfüllt zum Teil die Forderungen der Theoretiker des expressionistischen Romans. Er überwindet die bloß realistische Darstellungsweise, indem er seine Figuren typisiert. Er verzichtet jedoch auf mehrere parallel verlaufende Handlungsstränge. Er teilt jedoch nicht den Utopismus und Irrationalismus vieler Expressionisten, sondern hat immer auch die gesellschaftliche Wirklichkeit im Auge.

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