G. E. Lessing – Emilia Galotti (1772)
→ Inhalt
Gotthold Ephraim Lessings Drama »Emilia Galotti« aus dem Jahr 1772 handelt von dem Prinzen Hettore Gonzaga, seiner besessenen Liebe zu dem bürgerlichen Mädchen Emilia Galotti und seinem Plan, das Mädchen für sich zu gewinnen. Das Trauerspiel spielt in einem kleinen Fürstentum in Italien im 18. Jahrhundert.
Hettore Gonzaga, der Prinz von Guastalla, sitzt an seinem Arbeitstisch und studiert die Bittschriften und Klagen seines Volkes, als sein Maler Conti den Raum betritt. Er trägt zwei Gemälde bei sich, eines von der Gräfin Orsina, der Geliebten des Prinzen, und eines von einem unbekannten Mädchen. Der Prinz betrachtet das Gemälde seiner Geliebten und stellt fest, dass er sie nicht mehr schön und anziehend findet. Als er jedoch das Bildnis des unbekannten Mädchens sieht, ist er sofort von ihrer Schönheit begeistert und fragt seinen Maler, wer das Mädchen sei.
Hettore erfährt von Conti, dass das Mädchen Emilia Galotti heißt und aus einer bürgerlichen Familie stammt. Der Prinz kauft Conti das Gemälde ab und beschließt im Geheimen, jeden Preis zu zahlen, um das Mädchen zu besitzen. Hettore gesteht seinem Diener Marinelli seine Gefühle für Emilia und erfährt, dass diese heute den Grafen Appiani heiraten soll. Marinelli verspricht dem Prinzen, die Hochzeit zu verhindern. Er schlägt dem Prinzen vor, seine Macht zu gebrauchen. Er soll Graf Appiani von Emilia weglocken, indem er ihn als Gesandten in die Stadt Massa schickt. Der Prinz selbst solle sich auf sein Lustschloss in Dosalo begeben.
Doch der Prinz versucht zunächst allein, Emilia für sich zu gewinnen, indem er sie in der Kirche aufsucht. Emilia jedoch ist von dem Prinzen verunsichert und kehrt schnell nach Hause zurück. Während Appiani und Emilia sowie ihre Eltern, Claudia und Odoardo, sich auf die Hochzeit vorbereiten, taucht Marinelli auf. Er schmeichelt dem Grafen und teilt ihm anschließend mit, dass der Prinz ihn nach Massa schicke und er sofort aufbrechen müsse. Aber Appiani wird wütend und widersetzt sich dem Wunsch des Prinzen. Er reist nicht nach Massa, sondern bleibt bei seiner Geliebten Emilia.
Marinelli teilt dem Prinzen mit, der Plan sei fehlgeschlagen. Der Prinz ist wütend und enttäuscht. Marinelli erklärt ihm gleichwohl, dass er schon für einen zweiten Plan gesorgt habe. Der Prinz werde auf jeden Fall Emilia erlangen.
Zeitgleich wird die Hochzeitskutsche von Emilia und dem Grafen Appiani überfallen. Dabei wird Appiani getötet und Emilia auf das Schloss gebracht. Emilia ist aufgebracht und in Sorge um ihre Mutter sowie den Grafen möchte sie sich auf die Suche nach diesen begeben. Der Prinz beruhigt Emilia und schmeichelt sich bei Emilia ein. Als Emilias Mutter am Schloss eintrifft, wird bekannt, dass der Graf tot ist. Der Prinz hat Angst, dass der Mord auf ihn zurückfällt, dennoch lässt er sich nichts anmerken.
Auch die Gräfin Orsina ist mittlerweile auf dem Schloss eingetroffen und möchte den Prinzen sehen. Dieser aber beachtet sie nicht und möchte sie auch nicht sehen. Er schickt Marinelli anstelle seiner. Die Gräfin erfährt, dass Emilia und ihre Mutter beim Prinzen sind. Orsina bezeichnet den Prinzen als Mörder. Sie weiß, dass der Prinz in Emilia verliebt ist und möchte ihn am nächsten Tag öffentlich auf dem Markt als Mörder bloßstellen.
In der Zwischenzeit trifft Emilias Vater auf dem Schloss ein und erfährt von Orsina die Neuigkeiten. Auch hört er von Emilias zu erwartendem Schicksal, sollte der Prinz sie zu seiner Geliebten machen. Orsina übergibt Odoardo einen Dolch. Odoardo schickt seine Frau mit Orsina in die Stadt und bleibt mit Emilia zurück.
Odoardo will Rache an dem Prinzen und überlegt, Emilia in ein Kloster zu bringen. Der Prinz und Marinelli wollen dies verhindern. Marinelli gibt vor, Appianis Freund zu sein. Angeblich steckten weder der Prinz, noch irgendwelche Räuber hinter dem Tod Appianis. Vielmehr trage ein Nebenbuhler die Schuld. Hettore und sein Diener erzählen Odoardo, Emilia solle zur Vernehmung in die Stadt gebracht werden.
Odoardo willigt unter der Bedingung ein, dass er seine Tochter noch einmal sehen darf. Er berichtet Emilia alle Details. Diese will sich sofort mit dem Dolch erstechen, doch ihr Vater hindert sie daran. Emilia bedrängt ihren Vater und schließlich ersticht Odoardo seine Tochter.
Der Prinz und Marinelli sind über Emilias Tod entsetzt. Odoardo sagt, beide trügen die Schuld an Emilias Tode. Der Prinz weist jede Schuld von sich und wälzt sie auf Marinelli ab, vergleicht diesen mit dem Teufel und verbannt ihn aus der Stadt.
Lessing beschreibt den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum. Er kritisiert sowohl die absolutistische Willkür (Hettore) als auch die engen bürgerlichen Moralvorstellungen (Odoardo). Die Selbstständigkeit des Kindes wird unterdrückt und tritt hinter den Zwang zur unbedingten Pflichterfüllung zurück. Lessing moniert damit, ganz im Sinne von Kant (sapere aude), die Unmündigkeit des Bürgertums: Emilia ist nicht in der Lage, eine unabhängige, möglicherweise lebensrettende Entscheidung zu treffen, da ihre streng christliche Erziehung sie nicht dazu befähigt. Von jeher gewohnt, behütet und umsorgt zu werden, kann Emilia keinen eigenen Willen entwickeln und wird zum Spielball des Prinzen bzw. der Eltern. Lessing verdeutlicht an der Figur des Vaters, wie sehr sich das Bürgertum des 18. Jahrhunderts im Umbruch befand. Odoardo zeigt zwar bereits Ansätze eines „neuen“ rationalen Denkens, entscheidet sich letztlich mit dem Mord an seiner Tochter jedoch für den Bestand seiner Familienehre und fällt damit in „altes“ vor-aufklärerisches Denken und Handeln zurück.
→ PERSONEN
Emilia Galotti
Die Titelfigur trägt eine zentrale Bedeutung für die Dramenhandlung, da sie die Basis für die Intrige Marinellis darstellt. Außerdem spitzt sich die dramatische Entwicklung zu ihrer Person hin, deren Opfer sie letztendlich wird.
Sie spielt eine passive Rolle, weil sie vergleichsweise wenige Auftritte hat, aber bereits anfangs gegenwärtig ist und zwar nicht durch physische Anwesenheit, sondern als Gesprächsthema anderer. So werden voneinander abweichende Einschätzungen Emilias deutlich und die verschiedenen Aspekte ihres Charakters treten in den Vordergrund.
Einerseits gilt sie als „lieb, bescheiden, sanft und ängstlich“, was durch ihr äußeres Erscheinungsbild unterstützt wird. Die tugendhafte Emilia zeigt außerdem einen ausgeprägten Familiensinn; sie ist von ihren Eltern sowohl emotional als auch finanziell abhängig.
Andererseits zeigt sie Mut und Entschlossenheit.
Aufgrund dessen muss sie widersprüchliche Erwartungen erfüllen:
Der autoritäre Odoardo erwartet Konformität in Moralvorstellungen.
Claudia wünscht Einhaltung der gesellschaftlichen Umgangsformen.
Appiani sieht sie als zukünftige Ehefrau, die seine zurückgezogene Lebensweise teilt.
Der Prinz will sie als neue Geliebte.
Im Dramenverlauf lässt sich eine Charakterentwicklung erkennen. Die zuerst eingeschüchterte Emilia beginnt die Intrige des Prinzen zu durchschauen und gewinnt dadurch mehr und mehr an Selbstbewusstsein, welches sie im letzten Akt in voller Stärke präsentiert.
Sie empfindet Hass gegenüber dem Prinzen, als sie die Intrige komplett durchschaut und demonstriert ihre Tugendhaftigkeit in der Tatsache, dass sie den Verlust ihres Lebens weniger fürchtet als den ihrer Unschuld, der einem Identitätsverlust gleich käme. Also erklärt sie sich bereit zu sterben, um dem Prinzen, der ihr die Unschuld nehmen könnte, zu entfliehen.
Sie stilisiert sich selbst zur Tugendheldin, als sie jenes Geschehen in die Metapher fasst: „Rose“ (sie selbst), die (von der Hand des Vaters) „gebrochen“ wurde, bevor sie vom „Sturm“ (der vom Prinzen entfachten Leidenschaft) , „entblättert“ (V,8).
Züge der Aufklärung sind in der Rolle der Emilia deutlich zu erkennen. So, wie sie immer mehr Erkenntnisse über die Zusammenhänge der Ereignisse erlangt, so lernt sie sich mehr und mehr den Gegebenheiten zu widersetzten und findet so einen Weg aus der Passivität.
Odoardo Galotti
Emilia Galottis Vater, Odoardo, ist ehemaliger Obrist und Wertschätzer jener bürgerlichen Tugenden, die im Zeitalter der Aufklärung als das höchste Gut angesehen wurden.
Er ist von sowohl strenger und leicht zu erzürnender als auch von liebender und sorgenvoller Natur. So wird im Verlauf des Dramas deutlich, dass Odoardo all seine Bemühungen, so auch jene um ein hofabgewandtes Leben fern aller Unruhen, die am Hofe des Prinzen herrschen, der Sorge und Fürsorge für seine Familie widmet.
Vor allem ist Odoardo ein Verstandesmensch, der von sich selbst stets die volle Inanspruchnahme seiner Vernunft verlangt:
Er verkörpert das in „Emilia Galotti“ dargestellte Bürgertum, das der herrschaftlichen Macht nur seine höhere Moral entgegensetzen kann.
Der moralisch- seelische Zwiespalt des bürgerlichen Vaters und seiner Tochter gipfelt in dem übereilten und aus Hilflosigkeit geschehenden Mord des Vaters an seiner Tochter. Da Odoardo um die Unschuld seiner Tochter fürchtet und nicht länger fähig ist, sie den Händen ihres potenziellen Verführers, des Prinzen, zu überlassen, sieht er keinen anderen Ausweg, als sie durch den Mord an ihr vor sich selbst und vor der Missachtung der Tugenden - sei es durch die Verführung durch den Prinzen oder den von ihr angedeuteten Selbstmord - zu schützen.
Ist Odoardo zu Beginn des Stückes ein beherrschter und ganz seiner ehemaligen Rolle als Offizier folgender Charakter gewesen, so wird er im fünften und letzten Aufzug des Dramas zum Menschen, was durch die Sorge um den Zustand seiner Tochter verdeutlicht und vermittelt wird.
Claudia Galotti
Claudia Galotti, die Mutter der Emilia und Frau des Odoardo Galotti, lebt mit ihrer Tochter Emilia in einer Stadtwohnung in Guastalla, der Residenzstadt des Prinzen Gonzaga. Sie akzeptiert die bürgerliche Moral, die sie aber auch als Einschränkung erlebt. Claudia wird als eine eitle und törichte Mutter dargestellt.
Sie ist ihrem Mann unterstellt und stellt eine Vertrauensperson für Emilia dar. Das Wohl ihrer geliebten Tochter ist ihr sehr wichtig. Ihrer Meinung nach braucht Emilia eine städtische Erziehung und nicht, wie Odoardo es wünscht, eine ländliche, da Emilia nur in der Stadt ihren zukünftigen Gatten, Graf Appiani, finden konnte.
Claudia Galotti kann sich dem Reiz des Hofes nicht entziehen und bringt somit ein Verständnis für die Empfindungen ihrer Tochter bezüglich des Prinzen auf. Aus diesem Grund berichtet sie Odoardo voller Stolz von den Komplimenten des Prinzen über Emilia. Als Emilia ihr von dem Treffen mit dem Prinzen in der Kirche erzählt, rät sie ihr, dieses Ereignis vor ihrem zukünftigen Gatten zu verheimlichen, ohne die sich entwickelnde Gefahr zu erkennen und begünstigt somit Marinellis Plan. Dies zeigt ihre naive und schwache Menschenkenntnis, die immer nur das Gute sieht. Ansonsten hätte Appiani den Auftrag Marinellis nach Massa zu reisen als Intrige durchschaut, die ihn von seiner Braut trennen sollte.
Nach dem Überfall und dem Mord an Appiani erkennt sie bald die wahren Zusammenhänge und entlarvt Marinelli und den Prinzen als Schuldige.
Prinz Hettore Gonzaga
Der Prinz von Guastalla, Hettore Gonzaga, ist in dem Stück Emilia Galotti der absolutistische Herrscher eines Fürstentums. In dieser Eigenschaft besitzt er die uneingeschränkte Macht, handelt jedoch sehr verantwortungslos. Da er keinen Spaß mehr an seiner Politik hat, bringt er dieser wenig Interesse entgegen und will - ohne zu zögern - ein ihm vorgelegtes Todesurteil unterschreiben.
Unterhalten wird er von seiner Mätresse Gräfin Orsina, der er kein Interesse mehr entgegenbringt, nachdem er Emilia erblickt hat. Während sich der Prinz immer weiter in seine Liebe zu Emilia hineinsteigert, vertraut er blind seinem Kammerherrn Marinelli und übergibt ihm die volle Freiheit alles zu tun, damit der Prinz kriegt, was er will: Emilia! In egoistischer Glückssuche lässt er sogar Gewalt zu, um seinen Nebenbuhler, Emilias Verlobten, Graf Appiani, aus dem Weg zu schaffen.
Marinelli
Der Charakter des Kammerherrn (heute: persönlicher Referent) des Prinzen, Marinelli, stellt den mit Abstand intrigantesten aller auftretenden Charaktere dar; ein Charakter, der den Ehrgeiz besitzt, sich unentbehrlich zu machen und im Interesse seines Prinzen auch vor einem Mord nicht zurückschreckt.
Er echauffiert sich, sobald seine raffiniert ausgearbeitete Intrige durch das stümperhafte Verhalten des Prinzen gefährdet wird.
Der Umgang mit seinem Herrn ist eine seltsame und interessante Mischung aus Unterwürfigkeit und kühler Berechnung.
Sein rhetorisches Geschick erlaubt es ihm, den Prinzen zu manipulieren, doch ist auch der Wunsch zu erkennen, sich unentbehrlich zu machen.
Der Eindruck, Marinelli sei bloßer Handlanger, der den Prinzen informiert und seine Befehle ausführt, trügt, da sich Marinelli aufgrund seines Machtstrebens an den Prinzen anzunähern versucht, was dazu führt, dass das Machtgefälle zwischen beiden im Laufe des Dramas geebnet wird und sich beide Charaktere auf Augenhöhe begegnen und als gegenseitige Komplizen ergänzen.
Dieser Machtanstieg im Hintergrund basiert auf dem Wissen des Prinzen um das Talent Marinellis erfolgreiche Intrigen zu planen und durchführen zu können.
Graf Appiani
Der Verlobte Emilias bewegt sich zwischen den beiden Ständen, denn seiner gesellschaftlichen Stellung nach ist er Adliger, durch eine Heirat mit Emilia würde er sich aber mit dem wohlhabenden Bürgertum verbinden.
Nach eigenem Entschluss lebt er auf dem Land, was von Odoardo sehr gelobt wird.
Andere Charaktere bezeichnen ihn als „ehrwürdig, wohlhabend, schön und reich“ - erstaunlicherweise auch vorerst der Prinz. Dieser beneidet ihn außerdem um die angekündigte Heirat mit Emilia, da er durch die Tatsache, dass sie ohne Rang und Vermögen ist, die wahre Seite ihrer Tugend genießen könne.(I,6)
Von Odoardo ist er begeistert und sieht ihn als „ Muster aller männlichen Tugend“. Er sieht ihn als ein Vorbild an, welches für ihn wichtiger erscheint als Emilia selbst.
Emilia entspricht seinem gefestigten Bild, einem Ideal von Weiblichkeit, dem sie entsprechen solle. Seine und die Erwartungen Odoardos bezüglich Emilia, sowie die Verachtung beider dem Hochadel gegenüber, gehen weitgehend konform.
Gräfin Orsina
Obwohl sie nur eine Nebenrolle spielt, ist ihre Rolle für das Stück von großer Bedeutung, da sie als Philosophin, wie Marinelli sie ironisch tituliert, Ideale wie Vernunft, Toleranz, Freiheit und Menschlichkeit vermittelt.
Außerdem spricht sie sich gegen Vorurteile, Bevormundung durch die Kirche und die Fürstenwillkür aus.
Im ersten Akt erfährt der Zuschauer von ihrer Position als Mätresse des Prinzen, die dieser derzeit ablehnend behandelt.
Sie selbst weiß davon aber erst im vierten Akt. Ab diesem Moment sind ihre Handlungen von Eifersucht und Rachegedanken geprägt.
Im Dramenverlauf emanzipiert sie sich von der ehemaligen Mätresse zur Aufklärerin:
Sie kritisiert die höfischen Gewohnheiten: „Verdammt über das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen!“ (IV,3) und entzieht sich diesen Konventionen, verweigert den Gehorsam gegenüber dem Prinz: „Er komme und befehle es mir noch einmal“ (IV, 6) und verbündet sich mit dem bürgerlichen Odoardo.
Allerdings neigt sie trotz scharfem Verstand zu emotionalen Ausbrüchen, die sie entweder mit Ironie und Sarkasmus überspielt oder durch aggressives Vorgehen gegenüber Marinelli ausdrückt.
Obwohl sie durchaus Sympathie erweckt, bleibt sie letztendlich eine lasterhafte Person; Eine Hofschranze (IV, 7), da sie sich wie Marinelli verhält, wenn sie versucht, eine Person wie Odoardo zum Mord am Grafen zu bewegen.
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